In der SZ vom 9.10.2017 fand sich ein Artikel von Frau Burger mit der Überschrift "Ernährung Vorsicht Vitamine - Sie können in der Schwangerschaft dem Baby schaden".
Wieder einmal werden hier Mikronährstoffe durch unüberlegte Fehlinformationen in Misskredit gebracht und "das Kind mit dem Bade ausgeschüttet".
In unserer wissenschaftlich-medizinischen Welt sind natürlich- einen korrekten Gebrauch vorausgesetzt - nicht
Vitamine schädlich, sondern solche Formulierungen, weil sie Angst machen,
werdende Mütter und deren Ãrzte erschrecken und deshalb durch Unterlassung zu
katastrophalen Folgen führen können.
Auch über solche Konsequenzen hätte die Autorin vor
der Erstellung ihres Berichts nachdenken sollen.
Meine Stellungnahme zu dem Artikel von Frau Burger sieht wie folgt aus:
1. Die Autorin hätte sich zunächst besser vorinformieren und ihre Worte sorgfältiger wählen müssen: sie spricht in der Überschrift nur von Vitaminen und schreibt dann später auch über Jod, Magnesium, Eisen und Omega-3-Fettsäuren. Diese Stoffe haben natürlich nichts mit Vitaminen zu tun, weshalb Überschrift und daraus folgende Argumentation zumindest inkongruent sind!
2. Wenn sowohl Medienvertreter als auch betreuende Ãrzte über ein Grundwissen bezüglich Mikronährstoffen und deren vielfältigen essentiellen biochemischen Wirkungen auf den menschlichen Stoffwechsel sowie über die in einer vollwertigen Ernährung erreichbaren und in der Prävention und der Therapie verwendeten unterschiedlichen Zufuhrmengen verfügen würden und wenn sie dann Schwangere seriös informieren könnten, dann würde das Mutter und Kind nutzen und die Schwangerschaft sicherer machen - und wir müssten uns nicht mit der Reaktion auf solche unsinnigen Überschriften beschäftigen!
3. "Wahllos und überdosiert" würde es nicht geben, wenn einerseits alle Schwangeren einen Arzt hätten, der z.B. über eine einfache Lebensstil- und Ernährungsanamnese - und gegebenenfalls über eine ergänzende Blutuntersuchung - den tatsächlichen individuellen Mikronährstoffbedarf eruieren würde und der sie dann kompetent und unvoreingenommen bezüglich der optimalen Zufuhr und Dosierung von Mikronährstoffen beraten könnte und wenn andererseits die angesprochenen Multinährstoffpräparate nicht frei bei Discountern und ähnlichen Händlern - oder gar im Internet - ohne Beratung für jeden zur unbeschränkten Dosierung erhältlich wären.
4. Eine optimierte Zufuhr aller - auch der im Artikel nicht genannten - essentiellen Mikronährstoffe über die Nahrung und soweit das nicht möglich ist, über Präparate ist in der Schwangerschaft zum Schutz der Mutter und der Frucht Pflicht. Ein Erkennen und eine Behebung jeglicher Unterversorgung sowie die Vermeidung von Überversorgung durch den betreuenden Arzt wären ebenfalls Pflicht.
5. Wie auch die Autorin zu Recht erkennt, steigt der Bedarf an Mikronährstoffen in der Schwangerschaft, z.B. an Folsäure und Jod, aber auch an Vitamin B12, Kalzium, Selen, Jod, Eisen und weiteren Mikronährstoffen. Und dieser erhöhte Bedarf ist über die Nahrung nicht nur - wie von der Autorin angemerkt - bei Veganerinnen, sondern bei jeder sonstigen einschränkenden Ernährungsform, wie z.B. bei Diäten zur Gewichtsabnahme und auch bei der uns üblichen westlichen Zivilisationskost und bei Menschen mit ungünstigem Lebensstil nicht voll abzudecken.
6. Das Thema Omega-3-Fettsäuren und Schwangerschaft ist von verantwortungsvoller ärztlicher Seite aus heute nicht umstritten und die Notwendigkeit einer optimierten Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren über die Nahrung oder - soweit das nicht möglich ist - über Präparate ist anerkannt (s. hierzu z.B. Prof. Koletzko). Die von der Autorin und von Ihrem Gesprächspartner gewählten lässigen Formulierungen könnten im einfachsten Fall zu Nachlässigkeit verführen oder im schlimmsten Fall gar fatale Auswirkungen zeitigen.
7. Ãhnliches gilt für die Formulierungen der Autorin zum Thema Vitamin D. Erst beschreibt die Autorin die furchtbaren Folgen eines niedrigen Vitamin D-Spiegels von unter 20 ng/ml und dann lässt sie uns wissen, dass es unklar wäre, was dieser Blutwert über die Vitamin-D-Versorgung aussagt und ob ein Anheben des Wertes über Vitamin-Tabletten möglich und hilfreich ist. Darf ich das so verstehen, dass wir Ärzte aus ihrer Sicht die niedrigen Spiegel einfach so stehen lassen und der Versuch einer Vitamin D-Therapie zur Anhebung des Spiegels auf ein optimales Niveau unsicher wäre? Ich würde da sehr vorsichtig sein. Aus Sicht eines kritischen Arztes könnte man solche Empfehlungen evtl. gar als Anleitung zur Körperverletzung verstehen.
8. Die Aussage, dass alle Präparate für Schwangere entweder überdosiert wären oder überflüssige Stoffe enthielten, ist einfach falsch. Hier wurde ganz sicher eine einseitige und sicher nicht repräsentative Auswahl getroffen.
Ich empfehle der Autorin, dem Herausgeber der SZ und allen Schwangeren darüber nachzudenken, ob so ein Artikel veröffentlicht werden darf.
Ihr Udo Böhm